„Der erste Call entscheidet wie der Tag wird!“
Der erste Call entscheidet, wie der Tag wird.
Emotionsarbeit in Call Centern – kein Thema?
Seit Jahren stellt man fest, dass Call Center Arbeit eine hohe emotionale Beanspruchung darstellt. Belastend wird Gefühlsarbeit vor allem dann erlebt, wenn man eine Emotion vortäuschen muss, die man nicht fühlt, es entstehen emotionale Dissonanzen die krank machen und zu Burn-out führen können. Ulrike Gmachl-Fischer hat Agents befragt und eine Antwort auf die Frage entwickelt, wie man sie darin unterstützen kann, den emotionalen Haushalt im Gleichgewicht zu halten, um die hohen Anforderungen an die Gefühlsarbeit auch längerfristig zu erfüllen.
Manche Ratgeber sind sich nicht bewusst, dass sie mit ihrem Ratschlag, die Stressauslöser-Liste verlängern. So kommt oft der Ratschlag: „Nimm´s nicht persönlich“. Dies ist ein Schlag der bei jeder Kränkung zusätzlich im Gesicht der Agents brennt und ihnen auch noch das Gefühl von Niederlage und Versagen vermittelt. Denn wie genau geht das? Wie mach´ ich´s, dass ich den unwirschen Tonfall nicht persönlich nehme, die Beleidigung, den persönlichen Angriff?
Der Stress kumuliert, die Kurve verlässt mit dem ersten Call die Bodenlinie und sieht sie bis spät Abends nicht mehr: „Der erste Anruf bestimmt den Tag“ [Zit. Agent]. Auch Interventionen auf der semantischen Ebene helfen wenig bis gar nicht. Eine Liste von Wörtern die angeblich universell Stress oder Ablehnung auslösen? In der Kommunikationswissenschaft wissen wir nichts davon. Außerdem fallen die „bösen Wörter“ dem Agent in der heiklen Situation nicht ein oder noch schlimmer, sie fallen ihm ein, aber zu spät. So kommt, was er sagt, nicht aus dem Bauch, ist wenig authentisch und wirkt dadurch aufgesetzt freundlich. Der Kunde hört das heraus und wird noch stärker verunsichert, wodurch sich sein Stress und hörbarer Ärger verstärkt. Die Wurzel des Wortes Emotion ist „movere“, lateinisch für bewegen, wobei das Präfix „e“ „hinwegbewegen“ bedeutet. Jeder Emotion wohnt also eine Tendenz zur Bewegung inne, wir wollen damit etwas erreichen. So schaukeln sich Kunde und Agent in der Stress-Schaukel nach oben. Jeder versucht, mithilfe von Emotion sein Ziel zu erreichen, im Falle unseres Agents führt dies zu Ärger, Hilflosigkeit, Zynismus, im schlimmsten Fall zu Burn-out.
Die Wissenschaft schafft viele Erkenntnisse, aber der Transfer in die Wirtschaft hat bei diesem Thema nur unzureichend statt gefunden. Sowohl die Neuropsychologie als auch die Psychologie oder Soziologie u.a. haben sich mit Emotionen befasst. Goleman, Hochschild und andere haben Emotionen beschrieben, ihre Auslöser und wie man mit ihnen umgehen kann. Gefühle haben etwas mit der Wahrnehmung unserer Wirklichkeit zu tun, mit unseren Bewertungssystemen, und dort müssen wir ansetzen, um Agents darin zu unterstützen, ihre Gefühlsarbeit gut und professionell erfüllen zu können. Sind negative Gefühle erst einmal da, so hat der Agent Stresshormone im System. Die herkömmlichen Tipps im Umgang mit Ärger reichen an Oma´s Nähkästchen heran. Die neueren Erkenntnisse aus der Hirnforschung sind darin nicht eingeflossen. Da sind wir allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die im Rahmen ihres Berufs Gefühlsarbeit verrichten müssen, etwas schuldig geblieben und das müssen und können wir ändern.
Die Befragung
Gmachl-Fischer hat in 5 Call Centern, Inbound und Outbound Agents, mittels qualitativer Fragetechniken befragt, die Antworten tiefenanalytisch ausgewertet, und zeigt nun Tendenzen auf, wie Agents mit der zu verrichtenden Gefühlsarbeit umgehen.
Was verstehen Agents unter Gefühlsarbeit?
Agents verstehen unter Gefühlsarbeit vor allem die Entwicklung, Beherrschung, und Unterdrückung von Gefühlen. Da häufig intensive Gefühle entwickelt werden, lassen sie sich nicht so weit unterdrücken, dass sie gar nicht erst wahr genommen werden, aber die wahrgenommenen Gefühle werden sofort als unangemessen und unerwünscht abgespalten. Die Frage bleibt offen, ob Agents nur negative Gefühle als Arbeit verstehen und ihre positiven Gefühle, die durchaus zum Arbeitsalltag dazu gehören, als privaten Zugewinn erleben.
Lächeln über alles!
Was genau der Agent tut, um zu verhindern, dass er einem Kunden Ärger oder Ungeduld zeigt, spiegelt die gängigen Trainingsrezepte wider, oder den Mangel an Trainings überhaupt. In erster Linie versuchen Agents zu lächeln. Das nennt man „Oberflächen-Handeln“, also Darstellung von Gefühlen die nicht „aus dem Bauch“ kommen (Hochschild 2006). Diese Techniken sind problematisch, da sie emotionale Dissonanzen eher unterstützen und langfristig zu Burn-out führen können. Die Agents versuchen außerdem ruhig zu bleiben, freundlich oder auch Hochdeutsch zu sprechen, die Atmung zu kontrollieren. Vereinzelt wenden Agents auch Techniken an, die ich, unter anderen, in Trainings empfehle: z.B. sich in den Kunden hinein zu versetzen und Verständnis für ihn zu entwickeln; auf private Urlaubsphotos auf der Pinwand schauen. Auch dissoziative Methoden werden angewandt: völliger Rückzug auf die Rolle und Identität der Firma. Dies wird immer noch sehr oft empfohlen, ich betrachte diese Abspaltung der Persönlichkeit jedoch kritisch.
Pleiten, Pech und Pannen
Wurden Sie von einem Agent schon einmal unfreundlich behandelt? Möchten Sie wissen, wie es ihm danach ging? So fühlen sich Agents, wenn sie unerwünschten Gefühlen nachgehen:
„Akzeptieren, Ärgern, Schuldgefühle, Analysieren, Abschütteln, Erschöpfung, Müdigkeit, selbst beruhigen (Atmung), Gedankendisziplin (an was Schönes denken); verletzt, enttäuscht, missverstanden, beleidigt, verärgert; Versuch Verständnis für Kunden zu entwickeln; Selbstzweifel oder Schuldzuweisung an Kunden; innerliche Manöverkritik;“
Müde bis zur Erschöpfung, enttäuscht, verletzt, gekränkt, dazu Schuldgefühle, Selbstzweifel und Selbstkritik. Wenn man bedenkt, dass ein Agent im Schnitt 8 h am Tag Telefonate entgegen nimmt, und die Stresskurve nach oben kumuliert, kann man davon ausgehen, dass sich Agents mehrmals am Tag mit solchen Gefühlen herum schlagen müssen. Das zeigt das Ausmaß der zu leistenden Emotionsarbeit in aller Deutlichkeit auf.
Diese Aussage hat mich besonders berührt: „Ich sage mir … Dass es Menschen gibt, denen ich wichtig bin – so wie ich bin.“ Sie erzählt davon, wie persönlich manche Agents das Verhalten von Kunden nehmen, wie sehr die Identität und der Selbstwert zur Disposition stehen. Dies ist Teil der Arbeit die Agents erfüllen müssen. Geschult werden sie für Verkauf, Produkte oder Technik, im Idealfall auch Sprechen und Stimme. Wer schult sie, um sich vor dem Verlust des Selbstwertes zu schützen?
Vorbereitung auf Gespräche
Gerade Inbound Calls, also eingehende Anrufe wie zum Beispiel an einer Service Hotline, stellt Agents vor die Herausforderung, sich auf eine große Vielfalt unterschiedlicher Kunden und Anliegen einstellen zu müssen. Er weiß bei der Entgegennahme des Anrufs nie, wem er buchstäblich die Türe aufmacht. Wird der Kunde freundlich sein? Wird er mich attackieren? Da stellen Outbound Calls, also Anrufe zum Kunden, eine gewisse Entlastung dar, denn auf die kann sich der Agent innerlich einstellen, Informationen sammeln und so, gut vorbereitet, zu einem selbstbestimmten Zeitpunkt den Kunden kontaktieren. Agents nützen diese Möglichkeit zum Selbstschutz, sie lesen die History des Kunden, schauen nach, ob es Anlass zum Ärger gab, manche versuchen anhand des Geburtsdatums sogar herauszufinden, welches Sternzeichen der Kunde hat.
Ziel aller Maßnahmen ist, sich vor bösen Überraschungen zu schützen. Auf unvorbereitete Angriffe reagiert unser Gehirn mit Gegenangriff, Flucht oder Totstellen. Diese Reaktionen sind keine möglichen Optionen in einem Dienstleistungsbetrieb, daher suchen Agents aktiv nach Möglichkeiten, Überraschungsangriffe zu vermeiden.
Trennung von Beruf und Privat
Wie schaffen es Agents, an Tagen mit weniger guter Verfassung, ihre Stimmung den Kunden nicht merken zu lassen? Im Privatleben können genauso belastende Dinge vorfallen. Wenn wir an Krankheiten, Scheidungen oder Todesfälle denken, wie gehen Agents mit diesen Gefühlen bei der Arbeit um? Die Ergebnisse der Befragung zeigen die Hilflosigkeit einerseits und den absoluten Anspruch an sich selbst auf der anderen Seite. „Meine Stimmung geb ich grundsätzlich nicht an Kunden weiter“, behauptet ein Agent. Dies weist deutlich auf die Abspaltung der privaten Person hin. Die Agents ringen um die rigide Trennung zwischen Privat und Beruf. „Ich versuche täglich, meine persönlichen Befindlichkeiten aus meinem Job herauszuhalten, weil sie da nicht hingehören.“ Dies mag auch für jede andere Berufsgruppe gelten, aber nur im Dienstleistungsbereich ist die Haut zwischen mir und dem Kunden so durchlässig und dünn, dass es zu einem problematischen Thema wird.
Nikotin und Kaffee gegen Ärger
Wenn Agents sich über einen Kunden geärgert haben, was tun sie, um sich zu beruhigen? Richtig geraten: Rauchen, Kaffee trinken und Schokolade essen. Der Schokolade sagt man immerhin nach, dass sie uns glücklich macht. Die Sache mit dem Nikotin und Kaffee ist jedoch eine andere. Viele Raucher greifen zur Zigarette, um sich zu beruhigen. Ob im Tabak tatsächlich beruhigende Inhaltsstoffe sind, das entzieht sich meiner Kenntnis. Überzeugt bin ich allerdings von der Wirkung des Rauchens als Ritual. Das gemeinsame Rauchen wurde seit jeher und in allen Kulturen als Ritual zur gemeinsamen Konfliktlösung, zur Beziehungsherstellung und für viele andere psychosoziale Zwecke praktiziert. Ähnliches gilt für das Kaffee Trinken.
Für mich sind diese Strategien trotzdem ambivalent. Rauchen ist ungesund und gerade in einem Call Center sind die Stimm- und Atmungsorgane besonders belastet. Dazu kommt ein Großraumbüro, Klimatisierung und trockene Raumluft. Diese Beruhigungsstrategie leistet also definitiv Atemwegserkrankungen Vorschub, wenn nicht Schlimmerem. Und wenn Kaffee beruhigend wirkt, dann sicher nicht wegen dem darin enthaltenen Koffein, sondern dem darum herum inszenierten Ritual. Meist suchen Agents dann Gemeinschaft, reden über schwierige Gespräche oder Kunden. Dieses gemeinsame Artikulieren wirkt bis zu einem gewissen Grad entlastend. Wenn sich die Gedanken jedoch nur um den Ärgerauslöser drehen, dann wird der Ärger nicht abgebaut sondern vielmehr noch geschürt.
„Leise wimmernd in der Ecke sitzen ist ok …“
Die Erwartungen des Management an die zu verrichtende Gefühlsarbeit, sind für Agents kaum einzuschätzen. Es wird jedoch allgemein vermutet, dass grundsätzlich Desinteresse vorherrscht, solange der Kunde ausreichend gut und schnell serviciert wird. „Ich soll meine Gefühle außen vor lassen wenn sie negativ sind – soll aber meinen Kunden immer und in der angebrachtesten Situation begeistern – für die aktuellen Dinge.“ Solche Aussagen spiegeln das Fehlen von Interesse an der tatsächlichen Gefühlswelt der Agents wider. Dies deutet vielmehr auf die Ausbeutung der Gefühlswelt der Agents hin.
Ein Agent drückte es so aus: „Ohne dabei jemanden bei der Arbeit zu stören oder sonst wie lästig zu werden. Leise wimmernd in die Ecke sitzen ist ok, aber laut rumschreien geht gar nicht. Das Selbe erwarte auch ich von meinen KollegInnen.“. Der Zynismus der sich hinter dieser Aussage verbirgt ist bereits ein Anzeichen für das absehbare Ende der emotionalen Belastbarkeit dieses Agents.
Kommunikation über Gefühlsarbeit
Gefühlsarbeit ist kein Thema in Call Centern, es fließt nicht in die Kommunikation zwischen Mitarbeitern und Management ein. Ein Agent ging sogar so weit zu sagen: „Nein; Ich glaube nicht, dass meine Firma weiß, was das ist bzw. was damit gemeint ist.“ Gefühle werden immer noch sehr stark als Privatsache von Agents verstanden. Zahlen, Technik, Produkte, das ist die Welt, mit der sich das Management von Call Centern schwerpunktmäßig beschäftigt. Auch die Krankenstände werden gezählt und verwaltet. Ich empfehle, sich mit dem Thema Gefühlsarbeit zu befassen, um die Krankenstände erheblich zu reduzieren. Eine Studie von business21 (2008) belegt eindeutig den Zusammenhang zwischen Gefühlsarbeit und Fehlzeiten.
Trainings und Coachings
Es ist nicht so, dass Call Center Leitungen grundsätzlich auf die emotionale Unterstützung ihrer Agents verzichten. Die tatsächliche Angebotspalette beginnt bei Nichts und reicht über „Raucherlaubnis am Gang“, freier Kaffee, bis hin zu Kickertischen, Boxsäcken und in Einzelfällen sogar Coaching. Auch Kommunikationstrainings werden teilweise angeboten, diese stoßen aber mangels eines qualifizierten Angebots für die Gefühlsarbeit an ihre Grenzen. „Vereinzelt gibt es die Möglichkeit, an einer (unbezahlten) Schulung teilzunehmen, ob dies Effizient ist, wage ich allerdings zu bezweifeln; …“
Dabei wären auch schon kleine Zeichen eine echte Unterstützung für die Mitarbeiter: „Was ich mir wünschen würde, wäre Verständnis.“; „… Unterstützung in der Form von Feedback dass ich trotz dieses einen schlechten Calls einen sehr guten Job mache.“ „Das Wichtigste für mich ist das Backup in der Abteilung (LeiterInnen der Abteilung) …“ Ein anderer Unterstützungswunsch wäre mehr Privatsphäre. Agents haben teilweise keinen eigenen Arbeitsplatz sondern teilen ihn entweder mit anderen oder wechseln laufend die Arbeitsplätze. Das ist eine belastende Situation, da die Einrichtung eines geschützten Platzes die Möglichkeit der persönlichen visuellen Beruhigungshilfen erlaubt (z.B. Privatphotos). Ein Agent wünscht sich „einen bunt eingerichteten Ruheraum mit Farben und entspannender Musik.“
Es gab bei der Befragung sehr unterschiedliche Persönlichkeiten und damit auch Antworten. Bei keiner Frage jedoch waren sich die Agents so einige, wie bei der Frage welche Unterstützung sie sich wünschen würden: Ausnahmslos alle Agents teilen den Wunsch nach Trainings und Coachings.
Was sie besser können möchten
In Hinsicht auf die Gefühlsarbeit, was möchten Agents besser können? Ein Agent hat es auf den Punkt gebracht: „Mich selbst weniger aufregen und ärgern, mit mehr Gleichgültigkeit an die Sache herangehen können“.
Agents möchten lernen: mehr Geduld zu haben, besser abschalten zu können, Schutz des Selbstwerts, schneller reflektieren (Vogelperspektive einnehmen), Konfliktbearbeitung und Lösungsorientierung, Gefühlsarbeit; mich selbst weniger aufregen und ärgern, mehr Gleichgültigkeit; Gelassenheit (!), mehr Handlungsspielraum wie zum Beispiel dieser Agent: „Manchmal wünschte ich, ich könnte dem kunden mehr sagen, …“.
Zusammenfassung
In Call Centern wird viel gearbeitet. Man spricht von der ACD, der IVR, dem Service Level, über Telesales, Service und Support, Technik, über Produkte und Dienstleistungen, über Kennzahlen aber über die zu erbringende Gefühlsarbeit, über die spricht man nicht. Durch die fehlende Kommunikation und Beschäftigung mit dem Thema, nimmt man den Betroffenen die Möglichkeit der Reflektion und Artikulation und in der Folge der Entwicklung geeigneter Strategien. Agents erleben ihre Gefühlsarbeit als die Bewältigung und Abspaltung unerwünschter Gefühle. Sie stoßen jedoch täglich bei der Arbeit an die Grenzen ihrer Fähigkeit, immer nur freundlich, hilfsbereit und engagiert zu sein. Sie entwickeln Techniken, um unerwünschte Gefühle gar nicht erst aufkommen zu lassen, indem sie sich vor Angriffen zu schützen versuchen, indem sie, teils ungeeignete, Rituale entwickeln, um den Stress wieder abzubauen. Die rigide Trennung zwischen Beruf und Privat ist der verzweifelte Versuch, sich selbst und seinen Selbstwert zu schützen. Die damit einhergehende Dissoziierung von der eigenen Person, die Darstellung von Gefühlen, die eigentlich nicht gefühlt werden, führen zu emotionalen Dissonanzen, die krank machen und zu Burn-out führen können. Die Zusammenhänge zwischen emotionaler Arbeit und Fehlzeiten ist inhärent und muss seinen Niederschlag in geeigneten Maßnahmen in der Personalentwicklung, der unternehmensinternen Kommunikation, der Organisation und den Prozessen finden.